21 Juni, 2015

Es hätte schlimmer sein können

Sonntag, 21. Juni, Tag 17
gefahrene Kilometer 121,3
Höhenmeter bergauf 497
Gesamtkilometer 1.789,2

Ich danke Euch allen für die guten Wünsche und die Motivation für den heutigen Tag.
So langsam durchschaue ich die Denkweise des Fahrrad-Gottes. Gehe ich davon aus, dass der nächste Tag eine lockere Spazierfahrt wird, kann ich mich wegen dieser Überheblichkeit vor Problemen kaum retten.
Mache ich mir 'nen Kopf und habe Schiss vor dem nächsten Tag, wird es gar nicht so schlimm. Wie heute.
Ich habe gestern noch lange mit allen Karten um mich rum auf dem Bett gesessen und getüftelt, wie in die heutige Strecke in den Griff kriege.
Die Strecke von Gulbene nach Tartu teilt sich in zwei Abschnitte auf. Für beide Teilstrecken gibt es jeweils eine kurze, aber Schotterstrecke, wobei der zweite Abschnitt zusätzlich noch etliche Höhenmeter aufweist. In der Summe wären das etwa 95 km gewesen.
Die Alternativen, aber etwas bequemeren Teilstrecken auf richtigen Straßen, ergeben ein Gesamtlänge von ca. 150 km. Das wollte ich auch nicht. An dieser Entscheidung habe ich gestern lange gebrütet und bin erst spät ins Bett gekommen.
Ich bin also die ersten 40 Tageskilometer auf der Schotterpiste unterwegs gewesen. Durch den Regen in den vergangenen 2 Nächten war es nicht so staubig, aber dafür auf sandigen Abschnitten sehr weich.
Für diese 40 km habe ich 4,5 Stunden gebraucht. Gut es waren auch ein paar Fotostops dabei. Aber an den Steigungen und an besonders schlechten Abschnitten immer wieder absteigen und das Rad schieben, hat viel Zeit gekostet.
Einmal hat mich ein von hinten kommender PKW noch weit hinter mir ein paar Mal angehupt. Die Piste war wirklich breit genug, er hätte nur einen Meter  nach links rüber fahren brauchen. Er kam immer dichter ran, ich wich nach rechts aus, kam in den weichen Sand und konnte den Sturz nur verhindern, indem ich das Rad einfach fallen ließ. Ich war sauer und konnte ihm nur noch den Finger zeigen.
Den zweiten Abschnitt Schotterpiste, noch dazu über die höchsten Berge des Baltikums (das sind aber nur knapp über 300m) habe ich mir geschenkt und bin dafür den deutlich längeren Weg gefahren.
Nun ging es straff in Richtung Grenze. Ich war sehr allein auf der Straße unterwegs. So konnte ich in aller Ruhe an einer schönen Stelle mein Fahrrad auf den Mittelstreifen stellen und ein paar Fotos machen. Wer weiß, wozu man das noch gebrauchen kann.
Gegen 16 Uhr passierte ich die Grenze nach Estland, dem Zielland meiner Tour durch Polen und das Baltikum.
Die genaue Stelle der Grenze war nicht auszumachen. Kein Schild, kein Wappen, kein Hinweis auf Höchstgeschwindigkeiten wie sonst üblich ließ die Grenze erkennen. Ist schon toll so'n Europa.
Erster Eindruck von Estland: viel bessere Straßenverhältnisse und schicke Häuser.
10 km vorm Tagesziel musste ich doch wieder die Regensachen anziehen.
Diesmal habe ich eine Übernachtung weit außerhalb von Vöru in einer sehr schönen Ferienanlage gefunden.
Die Rezeption hatte um 20 Uhr 45 schon geschlossen, aber ein paar besoffene Jugendliche zeigten mir das Haus, in dem die Betreuerin der Anlage wohnt und sangen dann den Texteil der alten deutschen Nationalhymne, der keine guten Erinnerungen hervorruft.
Ich fragte die Frau, ob man hier noch irgendwo was zum Essen kriegen könnte. Ja, sagte sie, etwa 3 km mit dem Rad sind noch einige Kioske offen. Auf mein entsetztes Gesicht sehend überkam sie offensichtlich pures Mitleid und sie fragte, ob ich sehr hungrig sei. Ja, na klar. Denn ausser Frühstück und ein paar "Knackeri"  hatte ich nichts gegessen.
Ob ich Kartoffeln esse, wollte Sie wissen. Jadoch, gerne. Sie verschwand. Ich rüstete das Rad ab und hatte noch nicht alle Sachen ins Haus getragen, da stellte sie schon Bratkartoffeln auf estnisch auf den Küchentisch, goss mir eine Saft ein, wünschte mir guten Appetit und verabschiedete sich bis morgen um 8 Uhr zum Frühstück. Ich konnte grad noch thank you hinterherrufen. Die Frau sehr nett, die Bratkartoffeln köstlich, sowas vergißt man nicht.

5 Kommentare:

Manfred hat gesagt…

Hallo dietmar,
Ich hätte nicht gedacht das die tour oder besser die einzelnen etappen doch so nervenaufreibend und stressig sein können. Wenn du so schilderst wie dich die autofahrer bedrängen wird einem ganz mulmig.

ich hoffe du behälst die nerven um solchen gefahren rechtzeitig aus dem weg zu gehen.
Die strecke wo du allein auf der straße fahren konntest ist ja wohl nicht sehr lang gewesen.

Halt deine kraft beisammen, pass auf dich auf, wird sind in gedanken in deinen Packtaschen, also immer bei dir.
Bis bald, ich will dich am flughafen oder in ferch wiedersehen!!!!

Manfred von der leitplanke

Kalle hat gesagt…

Heute wieder ein kleiner Gruss aus Ludwigsfelde. Möge Dir der Fahrradgott heute in der kürzesten Nacht des Jahres einige aufregende Träume gesendet haben, so dass die heutige Fahrt ein Kinderspiel wird ......
Es grüßen Moni und Kalle und wartenschon auf den nächsten Reisebericht

lettyvanandel@gmail.com hat gesagt…

Liebe Dietmar,
Glucklich hast du es wieder geschaft, Respekt!
Eine Frage, hier fahrt fast jedeman auf ein Fahrrad, um von A nach B zu kommen. (nicht so verrueckt wie dir) aber sehest du auch noch normale Fahrraeder????

Unknown hat gesagt…

Hallo Dietmar,
ich hoffe, die letzten Etappen sind verkehrstechnisch etwas besser.
Ich meine damit, die Straßen sind besser ausgebaut und die Autofahrer rücksichtsvoller.
Freundliche Herbergsmütter, wie gestern abend, bringen die Welt dann doch wieder in Ordnung. Mehr davon.

Gute Reise weiterhin! B.

Sybilla Kalweit hat gesagt…

Mensch Dietmar ,
bei Deinen Schilderungen bleibt einem ja fast das Herz stehen.
Hoffe, dass die nächsten Tage ohne viel Geholper und mit weniger Gefahr für Dich verlaufen.
Pass auf Dich auf!
Auf in den Endspurt....
Das Meiste hast Du geschafft
Genieße die hellen Abende und Nächte (aber nicht zu lange) und schlaf trotzdem gut , damit Du fit bist für den nächsten Tag
GLG und "Dietkauscina" (diesmal richtig?) Sybilla