23 Juni, 2015

"Ein Ruhetag ist ein Ruhetag" (Letty) und das Ende der Tour

Dienstag, 23. Juni, Tag 19
Gefahrene km ( Stadtrundfahrt und Fahrt zum Raadi-See 15 km)
Gesamtkilometer immernoch 1.860

Wie ich es angekündigt hatte, blieb ich am Vormittag brav auf dem Bett liegen und schonte mein linkes Bein. Ich habe auch eine Mütze voll Schlaf genommen und mir kürzere als die von mir geplante Strecke bis Tallinn angesehen. 190 km statt der geplanten 400 km am Peipussee entlang wären eine Alternative.
Dann machte ich mich auf den Weg in die Stadt. Dazu musste ich etwa 4 km mit dem Rad rollen und war mitten im Zentrum.
Auf dem Weg dorthin kam ich an einer offenen Apotheke vorbei und kaufte mir eine vernünftige Bandage für Knie und Oberschenkel.
In der Nähe vom City-Center bereitete sich eine Formation aus Soldaten, Frauen in Uniform (die sahen aus wie von der Heilsarmee) und uniformierten Kindern auf einen Umzug zum Raekoja Plats vor. Dort befindet sich auch das Rathaus und die Skulptur der sich küssenden Studenten.
Dann wurden ewig lange Reden gehalten und ab und zu wurden einige
der Teilnehmer nach vorn gerufen. Ich nehme an, dass sie ausgezeichnet wurden. Ich fand einen Platz in einer Straßengaststätte direkt in der ersten Reihe und mit Blick aufs Rathaus und das gesamte Geschehen und konnte so nebenbei was essen.
Auf einmal lauter Motorenlärm von vielen Motorrädern, die einen Jeep eskortierten. Im Jeep wurde eine Fackel gehalten und am Rathaus übergeben. Ein Mann und 2 uniformierte Frauen verschwanden damit im Rathaus. Ich kann das alles hier nur wiedergeben, wie ich es gesehen haben. Der Kreis schließt sich für mich am Abend, als wieder 2 Frauen in Uniform mit dieser (?) Fackel am Raadi-See das Feuer zur Johannisnacht entzündeten. Von dieser Feier hatte ich mir etwas mehr versprochen. Eigentlich war es ein Rockkonzert auf der Bühne mit Lagerfeuer, Imbissbuden und Karussells für die Kinder. Gegen 23 Uhr bin ich gegangen und mit dem Rad zurück gefahren.
Ansonsten habe ich vom Rad aus das nicht sehr große Zentrum erkundet, was natürlich durch die geschlossenen Geschäfte wegen des Feiertages kaum Atmosphäre ausstrahlte.
Ich werde aber noch genug Gelegenheit haben, mir Tartu anzuschauen und in das von Detlef vorgeschlagene Nationalmuseum zu gehen, denn die Radtour "Per Rad ins Baltikum" ist hier in Tartu beendet.
Ich habe das schon bei den ersten Metern auf dem Weg in die Stadt und dann zum See gemerkt, so schaffe ich keine 200 km, auch nicht mit 50 km am Tag Ganz zu schweigen von meinem ursprünglichen Plan, eine Route entlang des Peipussees zu fahren.
Mir ist diese Entscheidung unheimlich schwer gefallen, 200 km vor dem Ziel vom Rad zu steigen und ich bin sehr traurig und enttäuscht darüber. Das wisst ihr sicher alle. Aber enttäuscht von wem und wovon? Es war eine erlebnisreiche, tolle, ja auch anstrengende und spannende Tour bis hierher. Das kann mir keiner nehmen.
Und trotzdem, der Traum von der Tour bis nach Tallinn mit dem Rad zu fahren, ist nicht in Erfüllung gegangen.
Wenn du auf den Mount Everest rauf willst und kehrst 800 m vor dem Gipfel um, dann fehlen dir diese 10% wie mir jetzt und du kannst niemals sagen, dass du drauf gewesen bist. Das Gipfelbuch liegt nur ganz oben.
Vielleicht habe ich meinem Körper zuviel zugemutet und zugetraut. Auch das muss ich akzeptieren. Am Willen und an der Kraft hat es nicht gelegen. Die Software war sozusagen in Ordnung, nur die Hardware ist veraltet.
Als ich mich aus Polen bei meinen Eltern meldete, die sich um mich große Sorgen machten, sagte mein Vater zu mir: "Junge, und wenn es nicht mehr geht, musst du auch den Mumm haben aufzuhören." Recht hat er gehabt, aber das fiel schwer zu tun.
Eine vernünftige Entscheidung zu treffen und den Mut zu haben gegen sich selbst entscheiden zu müssen, das musste ich heute neu lernen.
Ich bleibe noch 1-2 Tage in Tartu, fahre dann mit Bus oder Bahn nach Tallinn und werde mich riesig freuen, wenn Antje am 27. dort einfliegt.
Der Baltikumradler verabschiedet sich nun von allen bekannten und unbekannten Mitlesern.
Viele Dank an Antje, die Familie, Nachbarn und Freunde dafür, dass Ihr in Gedanken immer bei mir ward.
Und vielen Dank an Kerstin und Heinz, die dafür sorgten, dass die wichtigsten Arbeiten im Büro erledigt wurden.
Der Blog hat somit seinen Zweck erfüllt und kann geschlossen werden.

22 Juni, 2015

... und es kam schlimmer

Montag, 22. Juni, Tag 18
Gefahrene Kilometer 71,2
Höhenmeter bergauf 303
Gesamtkilometer 1.860,4

Ich kann es euch und mir nicht ersparen, auch über schlechte Nachrichten zu berichten.
Bereits gestern, etwa ab der estnischen Grenze, hatte ich Schmerzen in der linken Kniekehle. Diese Schmerzen nahmen zu und ich spürte ihn bei jeder Kurbelumdrehung. Also fing ich an, mit dem linken Beim keinen Druck mehr auf das Pedal auszuüben und den größten Teil der Strecke die Arbeit mit dem rechten Bein zu leisten. Das ging natürlich nur in Grenzen.
Vor dem Schlafengehen nahm ich Iboprofen in der Hoffnung, damit was bewirken zu können. Inzwischen war der linke Oberschenkel rechts über der Kniekehle schon angeschwollen und gerötet. In der Nacht wachte ich mehrmals auf mit Schweißausbrüchen, Übelkeit und mir war nicht nur zum K. . Zwei Dinge, die miteinander nichts zu tun haben. Die Schmerzen in der Kniekehle und offensichtlich ein Magen-Darm-Infekt. Völlig übermüdet und kraftlos schlich ich zum Frühstück. Die nette Gastgeberin wollte mir was Gutes antun und kochte für mich. Guckst  du hier:
http://www.chefkoch.de/rezepte/2262891361634612/Estnischer-Fruehstuecksbrei.html
Ich esse ja diese Hühnerfutter nicht mal kalt. Aber jetzt auch noch als warmen Brei, igitt.
Unter normalen Umständen hätte ich diesen Kleister nie gegessen. Aber ich dachte nur, irgendwas muss ich dem Magen ja anbieten. Und zumindest hat der Magen das angenommen und behalten.
Um 9 Uhr saß ich völlig ohne Kraft auf dem Rad und fuhr los in Richtung Tartu, wo ja ein Ruhetag eingeplant ist. Unterwegs machte ich gefühlt mehr Pausen als ich fuhr, Sekundenschlaf auf dem Rad inklusive. Gegen 17 Uhr war ich am Ziel. 8 Stunden für mickrige 70 km. Bloß gut, dass für heute kein längerer Abschnitt eingeplant war, den hätte ich nicht geschafft.
"Und wenn du denkst, du kannst nicht mehr, bleiben dir immernoch 40%". Ich war heute nahe dran, diese 40% anzuknabbern.
In der Pension wollte ich mich gleich auf das Bett legen, aber ein Finne, der sich einen Tee machte, fragte, ob ich auch einen Tee mittrinken möchte. So unterhielten wir uns ein bisschen.
Die Vermieterin zeigte mir dabei auf dem Stadtplan, wo die nächsten Einkaufsmöglichkeiten und Gaststätten sind. Ich wählte den am nächsten gelegenen Supermarkt und holte mir ein paar Kleinigkeiten zum Essen. Auf Gaststätte hatte ich einfach keine Lust mehr und die Stadt sehe ich mir morgen an.
Die Geschäfte hatten hier z.T. heute schon früher geschlossen und morgen (23.06. Johannisnacht) und am 24.6. komplett zu. Die Leute haben eingekauft, was das Zeug hält, am meisten Grillfleisch und viiiiel Alkohol.
Ich schreibe nur noch den Blog zu Ende und gehe dann sofort ins Bett.
Auf meine Frage, wo ich morgen meine Wäsche trocknen kann, bot sie mir an, ihr die schmutzige Wäsche zu geben, sie wäscht und trocknet sie dann. Es ist diesmal ganz schön viel durch die Staubstrecken. Glück gehabt.
Zum Frühstück hat mir die Vermieterin eine estnische Spezialität angekündigt. Ihr dürft dreimal raten, was das ist. Naja, wenigstens magenfreundlich.
Hoffentlich kriege ich das mit dem Oberschenkel in den Griff. Da knirscht es richtig drin. Sch....

21 Juni, 2015

Es hätte schlimmer sein können

Sonntag, 21. Juni, Tag 17
gefahrene Kilometer 121,3
Höhenmeter bergauf 497
Gesamtkilometer 1.789,2

Ich danke Euch allen für die guten Wünsche und die Motivation für den heutigen Tag.
So langsam durchschaue ich die Denkweise des Fahrrad-Gottes. Gehe ich davon aus, dass der nächste Tag eine lockere Spazierfahrt wird, kann ich mich wegen dieser Überheblichkeit vor Problemen kaum retten.
Mache ich mir 'nen Kopf und habe Schiss vor dem nächsten Tag, wird es gar nicht so schlimm. Wie heute.
Ich habe gestern noch lange mit allen Karten um mich rum auf dem Bett gesessen und getüftelt, wie in die heutige Strecke in den Griff kriege.
Die Strecke von Gulbene nach Tartu teilt sich in zwei Abschnitte auf. Für beide Teilstrecken gibt es jeweils eine kurze, aber Schotterstrecke, wobei der zweite Abschnitt zusätzlich noch etliche Höhenmeter aufweist. In der Summe wären das etwa 95 km gewesen.
Die Alternativen, aber etwas bequemeren Teilstrecken auf richtigen Straßen, ergeben ein Gesamtlänge von ca. 150 km. Das wollte ich auch nicht. An dieser Entscheidung habe ich gestern lange gebrütet und bin erst spät ins Bett gekommen.
Ich bin also die ersten 40 Tageskilometer auf der Schotterpiste unterwegs gewesen. Durch den Regen in den vergangenen 2 Nächten war es nicht so staubig, aber dafür auf sandigen Abschnitten sehr weich.
Für diese 40 km habe ich 4,5 Stunden gebraucht. Gut es waren auch ein paar Fotostops dabei. Aber an den Steigungen und an besonders schlechten Abschnitten immer wieder absteigen und das Rad schieben, hat viel Zeit gekostet.
Einmal hat mich ein von hinten kommender PKW noch weit hinter mir ein paar Mal angehupt. Die Piste war wirklich breit genug, er hätte nur einen Meter  nach links rüber fahren brauchen. Er kam immer dichter ran, ich wich nach rechts aus, kam in den weichen Sand und konnte den Sturz nur verhindern, indem ich das Rad einfach fallen ließ. Ich war sauer und konnte ihm nur noch den Finger zeigen.
Den zweiten Abschnitt Schotterpiste, noch dazu über die höchsten Berge des Baltikums (das sind aber nur knapp über 300m) habe ich mir geschenkt und bin dafür den deutlich längeren Weg gefahren.
Nun ging es straff in Richtung Grenze. Ich war sehr allein auf der Straße unterwegs. So konnte ich in aller Ruhe an einer schönen Stelle mein Fahrrad auf den Mittelstreifen stellen und ein paar Fotos machen. Wer weiß, wozu man das noch gebrauchen kann.
Gegen 16 Uhr passierte ich die Grenze nach Estland, dem Zielland meiner Tour durch Polen und das Baltikum.
Die genaue Stelle der Grenze war nicht auszumachen. Kein Schild, kein Wappen, kein Hinweis auf Höchstgeschwindigkeiten wie sonst üblich ließ die Grenze erkennen. Ist schon toll so'n Europa.
Erster Eindruck von Estland: viel bessere Straßenverhältnisse und schicke Häuser.
10 km vorm Tagesziel musste ich doch wieder die Regensachen anziehen.
Diesmal habe ich eine Übernachtung weit außerhalb von Vöru in einer sehr schönen Ferienanlage gefunden.
Die Rezeption hatte um 20 Uhr 45 schon geschlossen, aber ein paar besoffene Jugendliche zeigten mir das Haus, in dem die Betreuerin der Anlage wohnt und sangen dann den Texteil der alten deutschen Nationalhymne, der keine guten Erinnerungen hervorruft.
Ich fragte die Frau, ob man hier noch irgendwo was zum Essen kriegen könnte. Ja, sagte sie, etwa 3 km mit dem Rad sind noch einige Kioske offen. Auf mein entsetztes Gesicht sehend überkam sie offensichtlich pures Mitleid und sie fragte, ob ich sehr hungrig sei. Ja, na klar. Denn ausser Frühstück und ein paar "Knackeri"  hatte ich nichts gegessen.
Ob ich Kartoffeln esse, wollte Sie wissen. Jadoch, gerne. Sie verschwand. Ich rüstete das Rad ab und hatte noch nicht alle Sachen ins Haus getragen, da stellte sie schon Bratkartoffeln auf estnisch auf den Küchentisch, goss mir eine Saft ein, wünschte mir guten Appetit und verabschiedete sich bis morgen um 8 Uhr zum Frühstück. Ich konnte grad noch thank you hinterherrufen. Die Frau sehr nett, die Bratkartoffeln köstlich, sowas vergißt man nicht.

20 Juni, 2015

Ein ganz normaler schöner Tag

Samstag, 20. Juni, Tag16
Gefahrene Kilometer 116,5
Höhenmeter bergauf 375
Gesamtkilometer 1.667,8

Nachdem in der Hotelbar im Nachbarhaus um 5 Uhr die Party ein Ende fand, hatte ich nicht mehr viel Zeit zum Ausschlafen. Es war ja nicht die Musik, die gestört hat, aber auf der Straße war es laut durch Gesänge, kleine Wettfahrten mit dem Moped, Motorenlärm und Gegröle.
Am Morgen war ich wie gerädert.
Nach dem Frühstück und während des  üblichen Rituals des Fahrrad startklar Machens, sprach mit ein Herr aus Bayern an. Er habe von seine Kollegen gehört, die auch im Hotel übernachteten, dass ich mit dem Fahrrad unterwegs sei. Mit denen hatte ich aber kein einziges Wort gewechselt. Jedenfalls erkundigte er sich zu meiner Tour und sagte mehrmals in diesem typischen, herrlichen, bayerischen Dialekt "Respekt". Aufgeschrieben wirkt das gar nicht, das muss man einfach hören. Ich musste grinsen, "Respekt". Dann holte er seinen Fotoapparat raus, machte ein paar Bilder vom Fahrrad und mir, gab mir seine Visitenkarte mit der Bemerkung, dass ich ihm nach meiner Tour meine Mailadresse zuschicken soll, dann schickt er mir die Bilddateien, setzte sich in das Auto, welches ihn abholte und verschwand. Respekt!
Danach schob ich das Rad 200m weiter vom Hotel weg und stand vor dem Gelände eines russ.-orthodoxen Klosters. Die Tür stand offen und ich wollte mit dem Fahrrad durch die Tür. Das ging nicht, denn wegen der Packtaschen war es für diese Tür zu breit. Da ich aber Autos auf dem Hof sah, musste es also noch einen  anderen Zugang geben, der auch ein Stück um die Ecke war.
Jetzt war ich drin. Vor der Kirche sah ich ein paar Leute stehen und gesellte mich mit meinem Bikerkostüm dazu.
Drinnen in der Kirche hatte der Gottesdienst schon längst angefangen. Da wollte ich mit meinem Aufzug lieber nicht so rein. Einer der Mönche winkte mich rein und ich sah mir so den Schluss der Vorstellung noch an.
Es war eine sehr beeindruckende Kirche mit einer prächtigen Ikonenwand. Diese wollte ich zu gern fotografieren.
Ich wandte mich an eine Frau an der Kasse, die auch so orthodoxe Kleidung an hatte wie die Mönche und fragte auf russisch, ob es erlaubt ist ein Foto zu machen. Sie erlaubte es mir und zeigte mir noch, wo ich nicht hingehen dürfe. Dann fragte sie mich, ob ich aus Polen komme. Wegen meines verwunderten Gesichtes sagte sie gleich hinterher, dass ich gut russisch spreche.  Na das war ja auch ein Lob. Ich spreche also russisch mit einem leicht  polnischen Akzent. Als ich sagte, woher ich bin, wollte sie natürlich wissen, wo ich die Sprache gelernt habe.
Ich erklärte ihr, dass ich in der DDR geboren wurde und in der Schule und beim Studium die Sprache gelernt habe. Und jetzt lebe ich in der Bundesrepublik Deutschland. Da war sie dann sprachlos. Jedenfalls konnte ich ein paar schöne Fotos machen, die ich euch zu Hause zeige.
Ich musste wieder ein Stück des Weges zurück, den ich gestern gekommen war, also wieder auf die andere Seite der Daugava. Von da aus hatte ich nochmal einen schönen Blick auf die Klosteranlage und gleich daneben auf das Hotel.
Was dann folgte, war ganz normales Genussradeln. Keine Panne, wenig Höhenmeter, gute Straßen, schönes Wetter, herrliche Wolken, ein paar Fotos hier und da. Kurz nach 19 Uhr war ich im Hotel. Völlig unspektakulär, normal schön. So gehts auch.
Das wird morgen ganz anders. Ich verlasse Lettland und werde am Abend schon ist Estland, dem Zielland meiner Tour sein
Es wird vielleicht der schwierigste Tag der Tour, auch wegen der Navigation. Es gibt keine direkten Verbindungen von Gulbene nach Vöru. Da muss improvisiert werden. Könnte auch eine sehr lange Distanz werden. Auf jeden Fall auch viele Höhenmeter, ich fahre über den höchsten Berg des Baltikums. Wow! Ist aber nun nicht so der Kracher mit knapp über 300m. Aber das Gelände ist eben nicht auf der eine Seite rauf und dann rollt man auf der anderen Seite wieder runter, es wird eine ständige Achterbahfahrt werden. An 40 km Schotterpiste komme ich auch nicht vorbei.
Es kann sein, dass Dietmar morgen auch mal in den Grenzbereich seiner Kräfte kommt.
Diesmal brauche ich Eure Unterstützung.

19 Juni, 2015

Nix für Sonntagsfahrer

Freitag, 19. Juni, Tag 15
Gefahrene Kilometer 99,6
Höhenmeter bergauf 143
Gesamtkilometer 1.551,3

Mann, war das ein Tag. Heute war es richtig abenteuerlich. Die Länge der Strecke war auf der Karte ein Klacks. Höhenmeter konnten vernachlässigt werden, die Temperaturen zum Radfahren genau richtig, kaum Wind, die dunklen Wolken ringsum waren nur zur Deko.
Und trotzdem war ich erst um 20 Uhr im Hotel.
Aus Jekabpils kam ich ganz gut und relativ schnell raus. Bis zur Brücke über die Daugava waren es etwa 15 km. An der Stelle musste ich mich entscheiden, ob ich bis Jekabpils weiter auf der Autobahn A6 fahre (dann wäre ich in max. 5 Stunden am Ziel)  oder ob ich den ruhigeren und schöneren Weg direkt an Flußufer fahre. Ich wählte die schönere Strecke und fuhr über die Brücke rüber. Die Daugava ist wirklich ein großer und breiter Fluß. Das sind hier wirklich immer ganz andere Maßstäbe.
Auf der Brücke habe ich dann noch ein paar Fotos gemacht. Am Brückengeländer hingen etliche Vorhängeschlösser mit den Namen der jungen Paare drauf, die Schlüssel befinden sich ja dann auf dem Grund des Flusses. Ach ist das romantisch.
Ca. 1 km nach der Brücke hörte die Romantik auf. Ich musste nach rechts abbiegen, auf eine Schotterpiste, der ich nun 40 km folgte.
Es war natürlich schön. Ich liebe Flußlandschaften sehr. Elbe, Oder, Neiße, Havel, Inn, Etsch, Mosel, Saar - das sind wunderbare Flußufer, an denen ich schon geradelt bin. Die Donau ist im nächsten Jahr dran.
Und hier hat die Landschaft am Fluß auch was Besonderes. Nie habe ich mehr Störche mit ihren Jungen gesehen als hier. Und dann oft verlassene Bauernhöfe,  restaurierte Holzhäuser, bestellte Felder oder naturbelassene Wiesen. Das ist wirklich was für´s Auge.
In einem kleinen Ort mit einem Dorfladen machte ich Pause und kaufte mir Brot, etwas Jagdwurst und eine schöne große Tomate. Die Verkäuferin war wirklich nett. Sie honorierte offensichtlich mein Bemühen, die Bestellung auf russisch aufzugeben und schnitt mir Brot, Wurst und Tomate in handliche Stücke.
Vor dem Laden war gleich eine kleine Bank, dahinter die lettische und eine Europa-Fahne. DER Platz für mich.
Ihr glaubt gar nicht, mit wie wenig und mit wie einfachen Dingen man satt und zufrieden sein kann. Das liebe ich auch.
Allerdings die Fahrt mit dem Rad, und ich muss das wieder sagen, mit 20 kg Gepäck,  war schon ein Härtetest für das Material und für mich. Die ganze Zeit volle Konzentration auf die Strecke. Immer nur in 5m-Abschnitten den Weg gescannt: Wo ist der beste Weg für mich, welchen größeren Steinen muss ich ausweichen, wo ist der Untergrund fest, wo ist der Schotter weich und die Räder  könnten wegrutschen, wo holpert es am wenigsten ?
Da kannst du nicht einen Augenblick die Aufmerksamkeit von der Straße lassen. Wenn du was sehen willst -  anhalten. Das habe ich auch getan.
Schneller als 12-13 kmh konnte ich gar nicht fahren. Mit Fotostops, Trinkpausen, und irgendwann muss die Flüssigkeit ja auch wieder raus, kommt man auf eine Reisegeschwindigkeit von kaum mehr als 10 kmh. Da können auch 100 km zu einem Tagwerk werden.
Und als Schikane dann noch obendrauf: Gegenverkehr oder von hinten kommende Fahrzeuge. Als Radfahrer stehst du hier in der Rangordung an letzter Stelle, also ganz unten. Nicht dass da langsamer gefahren wird, weil sich Radler, PKW, Bus oder LKW den Weg teilen müssen, ganz zu schweigen davon, dass mal einer mehr rechts ran fährt,  nee, voll Straßenmitte und ich kann zusehen, wo ich bleibe. Ich bin nur mit nem Tuch vor Mund und Nase gefahren, und trotzdem hatte ich vom Staub  immer einen trockenen Hals. Nach einer Weile brannten mir auch die Augen vom Staub und die Handgelenke taten mir von den harten Schlägen auf der Schotterpiste weh.
Und trotzdem, ich möchte diese Erfahrung nicht missen. Ich war aber auch ganz froh, und das hatte ich während der Vorbereitung gelesen, dass ich die Stelle mit einer Personenfähre über die Daugava  gefunden hatte. Da ist natürlich nichts ausgeschildert, da war nur ein Verkehrsschild mit so einem abstürzenden Auto am Straßenrand.  Und genau das war de Weg zur Fähre. Der Fährmann stand mangels Kundschaft auf seiner Fähre und angelte. Ich fragte, ob er rüber fährt, auf russisch, was hier alle sprechen. Der sagte nur "2 Euro". Ich schob das Rad auf die Fähre und ersparte mir weitere unnötige 40 km Schotterpiste und fuhr die verbleibenden km  auf der "Autobahn" nach Jekabpils. Die letzten 10 km allerdings im Regen.
Irgendeine Schikane musste sich der Fahrrrad-Gott für mich dann doch wieder einfallen lassen.
Trotzdem Danke für diesen Tag.

18 Juni, 2015

Aber wer weiß ?

Donnerstag 18. Juni, Tag 14
Gefahrene km 137,8
Höhenmeter  bergauf 731
Gesamtkilometer 1.449,6

Gemütlich ließ ich es heute angehen. Frühstück um 8.00  Uhr, in aller Ruhe Sachen gepackt und das Fahrrad startklar gemacht und los ging es um 9.15 Uhr. Die Strecke war klar, immer nur der 102 folgen und ich komme von ganz allein an die litauisch-lettische Grenze. Das Navi blieb aus. Es war manchmal nervig, laufend Meldungen zu erhalten, dass ich wenden oder abbiegen sollte. Da muss ich mir die Einstellungen nochmal genau ansehen. Das Navi will mich nicht auf Fernverkehrsstraßen und Autobahnen fahren lassen. Da wir beim Thema Autobahnen sind, die Autobahn A13 in Lettland, gleich nach dem Grenzübergang solltet ihr mal sehen: einspurig, der reinste Flickenteppich, Schlaglöcher, hohe und bröcklige Seitenkante. Und ich wollte schon ein paar km weiterfahren, um einen kleineren Grenzübergang an einer Landstraße nehmen. Ich kann das gar nicht so beschreiben, aber der Straßenzustand der Straße zwischen Ferch und Caputh vor der Sanierung war der reinste Highway.  
Wie man an den gefahrenen Höhenmetern sehen kann, war die Strecke das Reinste Auf und Ab.
Heute machte mir das aber viel weniger aus. Vielleicht hat mich der Tag Pause in Vilnius wirklich aus dem Rhythmus gebracht. Das habe ich von Profiradsportlern auch schon gehört, dass der Tag nach einem Ruhetag immer recht schwierig ist. Vielleicht durfte ich diese Erfahrung nun auch machen.
Heute lief es jedenfalls richtig rund, fast.
Die ersten 2 Stunden fuhr ich sowas von locker, nicht langsam aber zügig und entspannt. Ich habe viel fotografiert, mir eine kleine Dorfkirche von Innen angesehen, den Störchen beim Füttern der Jungvögel zugeschaut und die schönen Aussichten ins Land genossen, die ich mir durch viele Anstiege auch erarbeitet hatte.
Es war ein grauer Tag, der Himmel komplett bedeckt, kein Regen. Aber die dicke Wolken am Himmel machten diesen auch richtig interessant. Ich schickte ein paar WhatsApp-Nachrichten an die Familie und machte noch Witze zu den Ortsnamen. Einer war "DIETKAUSCINA". Ich üersetzte das mit "Gute Fahrt Dietmar".
Im Nachhinein stellte sich heraus, dass ich das falsch übersetzt hatte. Die richtige Übersetzung lautet: "Dietmar, du bist falsch hier".
Durch diesen Ort fuhr ich noch durch. Dann riss plötzlich der Himmel an einer Stelle auf und die Sonne kam für ein paar Minuten hervor. Doch warum kam die rechts von vorn? Manchmal ist ja die Straßenführung auch so, dass sich die Straße so durch die Landschaft über viele Kurven hin und her windet. Aber an dieser Stelle war sie schnurgerade. Anhalten, Navi an, Karte raus. Ich war entsetzt. Ich befand mich etwa 8 km vor der belorussischen Grenze, statt auf der Straße 102 auf der 112. Eigentlich war das schon Belorußland. Müsst ihr mal auf der Karte nachsehen, da ragt ein Zipfel Litauen weit nach Belorußland rein. Nördlich von mir war das maximal 1 km bis zur Grenze. Wie konnte das passieren? Mir blieb nichts weiter übrig, als die gesamte Strecke zurück zu fahren. Die Häuser sahen von der Bauart schon anders aus in der Gegend und die älteren Frauen hatten bunte Kopftücher um, typisch russisch eben.
Nach gut 3 Stunden Fahrt und etwa 45 km war ich wieder fast da angekommen, wo ich am Morgen losgefahren bin, in Ignalina. Ich sah mir das Straßendreieck  102/12 jetzt genauer an. Weit vor diesem Dreieick führte von Ignalina kommend ein prima Radweg an der 102 entlang, der dann in einen Wald einbog. Entweder hatte ich da ein Hinweisschild übersehen oder da war keins. Jedenfalls kam ich statt auf der 102 auf der 112 raus und ich Depp habe das nicht bemerkt. Peinlicher Navigationsfehler.
Es gibt vielleicht eine Fahrrad-Gott. Als der gestern in meinen Blog las, Zitat: " Es sollte eigentlich nicht so eine lange Strecke bis dahin werden. Aber wer weiß." muss der sich schlapp gelacht haben. So nach dem Motte "Zweistellige Tageskilometerleistungen akzeptiere ich nicht", hat er mich auf diesen Umweg geschichkt. Aber es war prima Wetter zum Radeln, wirklich eine schöne Gegend, ich hatte alle Zeit der Welt, Checkin bis 24 Uhr, ich war gut drauf und der geplante Streckenabschnitt kurz genug, so dass ich diese Mehrkilometer gut verkraften konnte.
Bei einem geplanten langen Tagesabschnitt wäre das zum Problem geworden. Ich hatte wieder mal Glück. Danke, Fahrrad-Gott.
Die Fahrt bis zur Grenze war  abwechslungsreich. Wald, Seen und Feuchtgebiete wechselten sich ab. Rauf, runter, rauf, runter, rauf ......
Schnell war die Grenze erreicht. Wäre da nicht dieses EU-Schild gewesen, hätte man die Grenze nicht bemerkt.
Auf den letzten Metern in Litauen sagte ich diesem Land ein ehrlich gemeintes "Auf Wiedersehen". Litauen hat mir sehr gut gefallen und alle Erwartungen übertroffen. Vilnius, die bunten Häuser, die schöne Natur und den herrlich blauen und klaren Himmel werde ich nie vergessen.
Da wird es Lettland schwer haben. Schon der erste Eindruck nach der Grenze war ein anderer. Zur Autobahn habe ich weiter oben schon was geschrieben. Aber ich habe ja erst rund 30 km Lettland erlebt. Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Morgen geht es nach Jekabpils, auch das ist keine Biersorte sondern eine hoffentlich sehenswertere Stadt als Daugavpils.
Mit Vorhersagen für den morgigen Tag halte ich mich zurück, aber wer weiß?

17 Juni, 2015

Vilnius lässt nicht los

Mittwoch, 17. Juni, Tag 13
Gefahrene Kilometer 140,3
Gesamtkilometer 1.312,8
Höhenmeter bergauf 852

Eigentlich sollte es ein ruhiger Tag werden, aber 2 Dinge verhinderten das:
1. zu spät aufgestanden, ich hatte die eine Stunde Zeitunterschied nicht berücksichtigt und
2.  Vilnius konnte mich nicht loslassen. Für die  20 km bis ich Vilnius mit seinen Vorstädten durchquert hatte, brauchte ich 2 Stunden (Baustellen, schlechte Radwege, schwierige Navigation, dichter Verkehr).
Die verlorene Zeit konnte ich nicht wieder aufholen und die Fahrt nach Ignalina, dem heutigen Tagesziel, wurde ein Kampf gegen die Uhr. Bis 21 Uhr sollte ich einchecken, Punkte 21 Uhr war ich hier.
Unterwegs wieder die schöne Landschaft und dicke Wolken vor dem blauen Himmel. Beeindruckend auch die 20 km-Fahrt durch den Labanoro Nationalpark.
Mit Verpflegung für unterwegs hatte ich mich gestern noch in Vilnius eindecken können. Das war auch gut, denn die Möglichkeiten unterwegs was zu kaufen, sind sehr beschränkt. Man muss wirklich die erste Gelegenheit nutzen, wo man was kriegen kann. Wer weiß, wann der nächste Imbiss kommt
Heute habe ich wieder die Einsamkeit gefunden, die ich gesucht habe.
Einmal bekam ich einen Schreck, als mir jemand während der Fahrt auf den Rücken fasste und mich anschob. Eine Gruppe jüngerer Radfahrer kam vom Training und der Trainer erkundigte sich, woher ich mit dem Rad und dem Gepäck komme. Durch die bedruckten Shirts kommt man wirklich schneller mit Leuten ins Gespräch.
Gemeinsam fuhren wir noch ein paar Kilometer, bis sich unsere Wege trennten.
Im Hotel wurde ich schon unruhig erwartet, die Mädels von der Rezeption wollten nach Hause, die Küche hatte sowieso schon zu. Wenigstens ein Bier haben sie mir noch gezapft.
Das Streckenprofil mit 850 Höhenmetern bergauf hat mich ganz schön Kraftreserven gekostet und der Zeitdruck im Nacken verursachte Stress dazu.
Morgen werde ich Litauen schon verlassen und in Lettland ankommen. Meine erste Station wird Daugavpils sein. Das ist keine Biersorte, wie der Name vermuten lässt, sondern eine relativ große Stadt in der Nähe der Grenze. Es sollte eigentlich nicht so eine lange Strecke bis dahin werden. Aber wer weiß.
Jetzt falle ich müde ins Bett.

16 Juni, 2015

Ein Tag im Rom des Nordens

Dienstag, 16. Juni, Tag 12
gefahrene Kilometer heute keine
Gesamtkilometer  daher immernoch 1.171,46

Das war heute ein perfekter Tag. Schon am Morgen wieder dieser beeindruckende blaue und klare Himmel mit den schneeweißen Wolken - bloß nicht den Fotoapparat vergessen. Ich bin nicht so spät aufgestanden, ich konnte ohnehin nicht schlafen, weil direkt nebenan eine Baustelle ist, wie an vielen anderen Orten in Vilnius auch.
Ich kümmerte mich gleich um meine "große Wäsche" und hatte Glück, die einzige Waschmaschine hier im Studentenwohnheim war frei. 1,50 EUR rein und eine Stunde warten. Dann Wäsche raus, in den Trockner rein und das Gleiche nochmal. Gegen 11 Uhr (meiner Zeit) machte ich mich auf den Weg. Es wurden etliche Kilometer, die ich gelaufen bin, aber es hat sich wirklich gelohnt. Vilnius ist eine so schöne und interessante Stadt mit so vielen Kirchen, Museen, Galerien, Klöstern, Burgen, Denkmälern, Gaststätten, Plätzen, ...... Ich konnte mir heute wirklich nur eine groben Überblick davon verschaffen, soviel von Innen gesehen habe ich nicht, dazu war einfach die Zeit zu knapp.  Und wo hat man den besten Überblick - von oben, nämlich vom  freistehenden Glockenturm der Kathedrale. Es war wunderschön. In der Kathedrale sollte ich einem "Landsmann" erklären, wo denn eigentlich Ferch liegt, was ja auf meinem T-Shirt zu lesen ist.
Dann bin ich wieder herumgestromert, wie ich das ganz gern mache. Der kleine Stadtplan reichte für die Orientierung.
Es bringt jetzt nichts, hier alle Orte aufzuzählen an denen ich war, ohne dass ihr Bilder sehen könnt. Irgendwie geht das mit dieser App nicht, Bilder auszusuchen und dann in den Blog einzubinden. Ich habe extra heute einige Bilder auf das Tablet importiert,  aber wird nix. Schade.
Besonders schön fand ich die russisch-orthodoxen Kirchen mit den Ikonostasen, den Platz am alten Rathaus, die St. Annen-Kirche und das Stadttor "Tor der Morgenröte" mit dem Marienbildnis. Mehrere Frauen habe ich gesehen, die mit ihren Einkauftaschen bepackt innehielten, niederknieten, sich bekreuzigten und dann ihren Weg fortsetzten.
Der Künstlerkolonie Uzupis wollte ich unbedingt einen Besuch abstatten. 1997 als Res Publika Uzupis ausgerufen, wollten die Einwohner hier alternative Formen des Zusammenlebens fernab von der Konsumgesellschaft ausprobieren. Schutzpatron ist der längst tote Frank Zappa (Musikfans wissen, wer das ist), der Dalai Lama war schon mal dort und ist auch einer der Ehrenbürger. Ich hatte mir davon mehr versprochen. Ein paar Läden mit Souvenirs, einige Galerien und ein paar nette Cafés, ansonsten der übliche Kommerz. Vom Geist der Gründer der Res Publika war nichts zu spüren. Aber nur von Luft, Liebe und Idealismus lässt es sich nicht leben. Wenigstens die Reiseführer schlagen den Besuch der Kolonie vor, was ein paar EUR in die Kassen bringt.
In der Galeriekneipe gleich am Anfang hinter der Brücke soll auch der Regierungssitz der Kolonie sein.
Ich wollte ohnehin was essen und suchte mir einen sonnigen Platz. Im Schatten war es doch recht frisch.
Am Nachbartisch saßen Frau und Herr Götz aus Heidelberg, die für ein paar Tage in Vilnius bleiben, sich dann einer Reisegruppe anschließen und nach St. Petersburg fahren. Antje und ich waren 1985 oder 1986 da, als die Stadt noch Leningrad hieß. Seitdem wird sich dort viel verändert haben, nicht nur der Name und vielleicht auch nicht immer nur zum Guten für die einfachen Menschen dort.  Für die Tourplanung jetzt spielte das auch kurz mal eine Rolle. Ob Tallinn oder St. Petersburg als Zielpunkt hätte keinen großen Unterschied in der Länge der Tour gemacht.
Aber wie's jetzt ist, ist es besser.
Lachend verabschiedeten wir uns voneinander mit den Worten, dass man sich immer zweimal im Leben sieht. Um den 27. Juni herum wird  Fam. Götze noch in Tallinn sein, ich komme mit dem Fahrrad und Antje mit dem Flugzeug an diesem Tag an. Aber bis dahin sind es noch 11 Tage.
So schön wie Vilnius wirklich ist, Antje und ich haben heute schon beschlossen für einen Kurzurlaub mal herzufahren oder  zu fliegen, ich freue mich aber schon wieder auf den morgigen Tag auf dem Rad. Es folgen jetzt hintereinander 6  Tage bis zum nächste Stop in Tartu am 22. Juni. Das ist dann schon Estland. Die Tagesabschnitte liegen immer so um 100 km, also keine Marathondistanzen mehr und ich habe viel Zeit.
Detlef schrieb im Kommentar, dass jetzt wohl Tage kommen,  an denen ich sehr einsam sein werde. Nun, ein bisschen habe ich ja diese Einsamkeit auf der Straße auch gesucht - und gefunden.

15 Juni, 2015

Auf dem Weg nach Vilnius

Montag, 15. Juni, Tag 11
Gefahrene Kilometer 104,6
Höhenmeter bergauf 567
Gesamt-Kilometer 1. 171,46

Der heutige Tag sollte ein ganz besonders schöner Tag werden.
Aufstehen, Sachen einpacken, das Fahrrad vorbereiten - nach 10 Tagen Tour funktioniert das immer besser und wird zur Routine. Inzwischen haben auch alle Sachen den richtigen Platz in sämtlichen Taschen und Täschchen gefunden. Was liegt oben, was gehört unten verpackt, was brauche ich ganz schnell (bei Regen) was benötige ich immer erst am Abend, was muss in die rechte, was in die linke Tasche,  was an die Lenkertasche und was in die Oberrohrtasche, mein Problemkind.
Zuerst habe ich mir in Alytus ein kleines Café gesucht, damit ich frühstücken kann. Ein riesiges Omelett, einen knackigen Salat und einen großen Pott Kaffee für 6 EUR, das ist nicht zuviel für einen gute Start in den Tag. Am Nachbartisch sass eine Gruppe junger Leute. Ich bereitete mich auf die Konversatin mit ihnen auf litauisch vor, falls es mit der englischen Sprache nicht funktionieren sollte. Mit englisch kommt man hier selten weiter, das hätte ich nicht gedacht. Also bei Herrn Gockel und seiner Übersetzer-Epp nachgesehen ", was heisst Luftpumpe kaufen auf litauisch: siurblys pirkti.
Mit diesem Wissen machte ich mich an den Nachbartisch. Ihr kennt das alle, 4 Leute 5 Antworten. Jedenfalls kriegte ich ne Serviette mit nem Straßennahmen und die junge Frau zeichnete mir mit beiden Armen den Stadtplan von Alytus in den Himmel. Ich also rauf aufs Rad und los. Noch einmal zwischendurch einen älteren Herren gefragt, wo denn die Straße ist, die auf der Serviette steht, und auf einmal stand ich vor DEM Fahrradladen der Stadt. Pumpe ausgesucht, aus einer Pressluftflasche gleich Luft in meine Reifen nachgedrückt und los - wollte ich. Da fiel mir noch rechtzeitig mein Ärgernis -die Oberrohrtasche- ein. Im gut sortierten Angebot wurde ich schnell fündig. Die alte Tasche runter, die hatte ich mal als Dank für meine tonnenweise gekauften Kaffeebohnen bei einem großen Hamburger Kaffeeimporteur als Treueprämie erhalten, die neue Tasche rauf und nun ist auch dieser Schwachpunkt der Ausrüstung ausgemerzt.
Mit der Luftpumpe wird es nun sein wie mit dem Regenschirm. Vergißt man ihn, regnets. Schleppt man ihn den ganzen Tag mit, regnets nicht. Ich werd wohl nun keine Panne mehr haben. Auch gut.
Es war inzwischen 11 Uhr nach meiner Uhr und damit schon ziemlich spät.
In Wirklichkeit war es schon 12 Uhr osteuropäischer Zeit. Zwischen Ferch und mir liegen nicht nur knapp 1.200 km sondern inzwischen auch eine Zeitzone.
Vor mir lagen noch 100 km aus denen diesmal nur 104,6 km wurden. Was nun folgte, war wie im Rausch. Von Alytus bis Trakai, das sind etwa 70 km auf der Straße 220, hatte ich fast nur ordentlichen Rückenwind und Straßenverhältnisse, wie ich sie bisher auf der Tour kaum erlebt hatte. Nördlich von mir die A1 und südlich von mir die A4 bedeuteten fast keine Verkehr auf meiner Strecke. Das war pures Genußradeln. Wenn ich sofort sagen müßte, was mir einfällt, wenn ich an Litauen denke, so sind das der klare blaue Himmel, die schneeweißen Wolken und die bunten Holzhäuser.
Kilometerlang säumte ein etwa 5m breiter Streifen aus blühenden Lupinen die Fahrbahn auf beiden Seiten. Immer wieder kleine Seen, schöne Wälder, herrliche Aussichten wegen des hügeligen Geländes machten diesen Abschnitt der Tour zu einem echten Erlebnis.
Die letzten km bis Vilnius waren dann nicht mehr so spannend und von der Stadtgrenze bis ins Zentrum sind Radfahrer einfach nicht vorgesehen. Es gibt zwar etwa 5 km einen Weg, den sich Radfahrer und Fußgänger teilen sollen, aber an jeder Straßeneinmündung oder Grundstückszufahrt 20 cm nicht abgesenkte Bordsteinkante, Ampelanlagen und Masten von Straßenlaternen mitten auf dem ohnehin nur 1,50 m breiten Fußgänger- und Radweg, ließen da keine Freude am Fahren aufkommen. Ich hatte immer Angst, rechts oder links mit meinen Packtaschen anzustoßen.
Ich bin aber gut in meiner Unterkunft angekommen, einem Studentenwohnheim der Universität Vilnius.
Mein Zimmer ist in der 8. Etage für 13 EUR die Nacht und einem Blick auf die Wohnstadt von Vilnius.
Studenten müssen doch auch ihre Wäsche waschen, dachte ich mir. Ich fragte mal in der Reception und siehe da, in der 3. Etage stehen Waschmaschinen. Wäsche dreckig rein, Münze dazu, Wäsche sauber und trocken wieder raus. Das erleichtert mir den für morgen geplanten Waschtag. Nach 10 Tagen Straßenstaub werden einige Stücke mit Rei aus der Tube auch nicht mehr richtig sauber.
Am Abend bin ich noch bis in Stadtzentrum gelaufen, das sind genau 2,2 km.
Ganz ehrlich, ich war überwältigt und hatte das so nicht erwartet. Vilnius ist so schön. Aber zu Vilnius morgen mehr.

Es musste so kommen

Sonntag, 14. Juni, Tag 10
Gefahrene Kilometer 134,2
Höhenmeter bergauf 506

Der heutige Sonntag begann gemütlich mit einem guten Frühstück.  Man konnte sich aus 3 Menüs das passende aussuchen. Auch Suppen waren im Angebot. Ich bestellte mir wieder eine Sauerteigsuppe, wie ich sie schon in Warschau probiert hatte. Diesmal war sie etwas anders zubereitet mit Ei und Scheiben von Wiener Würstchen. Also mir hats geschmeckt.
Nach der Kopfsteinpflasterstrecke gestern musste die eine oder andere Schraube nachgezogen werden und so fuhr ich erst 9 Uhr 15 vom Hotel ab. Es ging zunächst auf der stark befahren Straße bis Augustow. Ab Augustow wechselte ich auf die Straße Richtung Grenzübergang Ogrodnik und damit war ich den LKW-Verkehr komplett los, da hier das Gesamtgewicht auf 7,5 t begrenzt war. Es fuhren also nur PKW's und Busse. Aber besonders die Busse fielen mir wegen der rüpelhaften Fahrweise auf.
Die Strecke führte durch den Augustowska-Park, eine wunderschöne Landschaft mit Wäldern, Sümpfen und Seen.
An einer Bushaltestelle habe ich dann eine kleine Pause eingelegt. Das habe ich hier regelmäßig so gemacht, weil da ein Dach über dem Kopf ist (auch heute war es wieder sehr heiß und die Sonne brannte) und man hat was zum Sitzen. Als ich losfahren wollte, konnte ich das gar nicht glauben, vorne hatten ich einen Platten. Der Eintrag im Blog vom Samstag war noch keine 12 Stunden alt und genau das trat ein: Reifenpanne und ich habe keine Pumpe mehr. Da war guter Rat teuer. Nachbar Kalli anrufen damit der mir ne Pumpe aus dem Sonderangebot von ALDI bringt?
Ich hatte Glück, an einem Zugang zum Wald, vielleicht 200m von mir entfernt, stand ein Ehepaar und studierte eine Karte. Ich winkte und rief Hallo und rannte zu ihnen hin. Verständigung nicht ganz einfach, aber ich hatte vor lauter Aufregung den alten Schlauch mitgenommen. Das war dann eindeutig. Der Mann griff gleich in seine Packtasche, um mir seinen Ersatzschlauch zu geben. Das Schlüsselwort lautete aber Pumpka. Der neue Schlauch war schnell aufgezogen, aufgepumpt und weiter ging die Fahrt.
Wäre mir das gestern passiert, in der Pampa und keine Menschenseele weit und breit, wäre das der Supergau gewesen. Meine Unruhe gestern wegen der verlorenen Pumpe muss eine Vorahnung gewesen sein. Mein erster Kommentar beim Anblick des  platten Vorderrades war: "Das musste ja so kommen".
Kurz vor dem kleinen Grenzort Ogrodniki die nächste Überraschung: Vollsperrung der gesamten Straße wegen einer Baustelle. Eine Umleitung war ausgeschildert, 10 km. Prima. Während der Umleitung hatte ich dann auch den 1.000sten km geschafft.
Der Grenzübertritt war völlig unspektakulär. Früher hatten Grenzen immer was Bedeutsames und Wichtiges. Man musste Ausweise oder Reisepass vorzeigen und gegenüber wurde mit finsterem Gesicht überpruft, ob derjenige auf dem Bild auch vor dem Schalter steht. Jetzt fährt man nicht mal mehr über einen weissen Strich ins andere Land. Schade, ich hätte gern etwas Pomp gehabt. Aber ohne Kontrollen oder Pass vorzeigen zu reisen, ist natürlich wirklich was Tolles. Die alten Zeiten will ich nicht zurück.
Als ich auf dem Parkplatz des ehemaligen Grenzübergangs eine kurze Pause einlegte, kam ein junger Mann aus einem Wohnmobil auf mich zu, schüttelte mir die Hand und begrüßte mich mit " Herzlich willkommen in Litauen." Wir unterhielten uns noch kurz über meine Tour, er wünschte mir gute Fahrt und weiter gings. So hatte der Grenzübergang für mich doch noch etwas Besonderes.
Die Landschaft in Litauen ist nicht anders als auf der polnischen Seite. Es gab auch wieder zahlreiche sich lang hinziehende Steigungen.
Trotzdem gab es eine Besonderheit, die ich schnell bemerkte.
Es fehlten Kirchen. Auf der polnischen Seite sind sie ja überall zu sehen und sind wahre Prachtstücke. Hier scheint die Religion nicht einen so zentralen Platz einzunehmen wie in Polen. Nach 136 km Fahrt war ich dann in Alytus angekommen. Das Hotel ist nicht so der Kracher, kein Essen, kein Frühstück, kein WLAN. Die Veröffentlichung daher morgen aus Vilnius, wo ich nach 100 km Fahrt ankommen will.
Ich bin gespannt.

13 Juni, 2015

Ups ...

Samstag, 13. Juni, Tag 9
Gefahrene Kilometer 169
Höhenmeter bergauf 553

.... da wurden es doch mehr km als geplant. Aber meine Faustregel für längere Touren hat sich bestätigt: auf die Planung kann man getrost noch 10% draufschlagen für alternative Strecken, mal verfahren, Umwege wegen schlechter Straßenverhältnisse, kleine Besichtigungstouren in Städten usw. Für den heutigen Tag waren ursprünglich 155 km geplant, 169 sind es geworden. Fast auf den km die 10%-Regel eingehalten!
Gefrühstückt habe ich wegen des Tagespensums etwas früher. Der so positive Eindruck des Hotels in Ostrow Masowiecka wurde durch das reichhaltige Frühstück abgerundet. So viel konnte ich gar nicht essen. Als der Chef des Hauses mitkriegte, dass ich mir noch Brötchen für unterwegs gemacht hatte, brachte er mir noch Plastiktüten  zum Verpacken. In dem Moment wusste ich noch nicht, dass dies die einzige Verpflegung für unterwegs sein sollte. 8 Uhr 15  fuhr ich los. Wen's interessiert die Statistik zum Tag:
gefahrene km 169, Höhenmeter bergauf 553, effektive Fahrzeit ohne Pausen aber mit Schiebeabschnitten 9 Std. 36 Min., Reisezeit incl. Pausen 12 Std 15 Min., max. Geschwindigkeit 40,98 km/h (mehr traue ich mich nicht mit dem vollgepackten Rad), durchschnittliche Steigung 2%, maximale Steigung 9%. Die von mir ausgedachte Strecke sollte überwiegend auf weniger stark befahrene Landstraßen führen. Dabei hatte ich etwas übertrieben. Das Ergebnis waren 10 km echtes Kopfsteinpflaster mit einer heftigen Steigung und eine mehrere km lange unbefestigte Straße, die schnell in einen dünenartigen Sandweg überging, also runter vom Rad und schieben Hier werde ich nie wieder hinkommen dachte ich mir und umso mehr genoss ich die Rundumblicke in die Landschaft. Dumm nur, dass mich die Straßenverhältnisse ausgerechnet auf  der "Königsetappe" wertvolle Zeit kosteten. Aber ist ja nochmal gut gegangen. Unterwegs sah ich viele bunte alte und wieder aufgebaute Holzhäuser, neu gebaute riesige Häuser in Gegenden, wo man wirklich einsam ist. Wer wohnt da? Oft niemand, aber mit Videotechnik abgesicherte Immobilien scheinen auch hier eine Geldanlage zu sein. Und zur Abschreckung wird auf jeden Fall ein großes Schild der Securityfirma  angebracht. Ich bin froh, dass ich von Nachbarn umgeben bin, die alle füreinander da sind.
Als ich merkte, dass es mit der Zeit eng werden könnte, wich ich etwa 50 km vorm Tagesziel doch auf eine der wichtigsten Fernverkehrsstraßen Richtung Litauen aus. Es war nicht so schlimm wie befürchtet. Am späten Samstagnachmittag waren deutlich weniger LKW's unterwegs.
Auf der Straße fiel mir dann auf, dass meine Luftpumpe weg war. Die werde ich wohl irgendwo auf der Kopfsteinpflasterstrecke verloren haben, ohne es zu merken. Seit diesem Augenblick war ich sehr beunruhigt und dachte, was ist jetzt wenn .... Morgen ist Sonntag, da geht hier sowieso nichts und einen Fahrradladen vermute ich hier auch nicht. Muss ich mich in Vilnius sofort drum kümmern. Bis dahin hilft nur weiterhin auf Glück hoffen.
Irgendwann morgen im Laufe des Tages werde ich die 1.000 km-Marke der Tour erreichen. Das wird wohl kurz vor der litauischen Grenze passieren. Dann habe ich Polen komplett von West nach Ost durchquert und das Baltikum erreicht, was mich auch etwas glücklich macht.
Ich habe vorhin mal einen kleinen Kassensturz gemacht. Ich hatte insgesamt 1.400 Zloty aus dem Automaten geholt. Alle Unterkünfte sind bezahlt und für ein Essen reicht das Geld morgen noch. Wenn ich den morgigen Tag schon zu Litauen rechne, verteilen sich die Zloty auf 9 Tage, das wären dann 155 Zloty am Tag für All Inclusiv. Ich rechne mal mit runden Zahlen und Wechselkursen, dann sind das weniger als 40 EUR pro Tag oder 360 EUR insgesamt. Bei einer günstigen Tauchbasis auf Malle  hätte ich dafür 10mal mit geliehener Ausrüstung tauchen tauchen können, bei eigener Anreise, müsste auf der Straße schlafen und hätte nicht ein einziges Essen. Insofern ist Radeln kein teures Hobby. Allerdings sollte man schon etwas in die Ausstattung investieren. Nach 1000 km Tour bei den Straßenverhältnissen hier merke ich schon, was langstreckentauglich ist und was nicht. Aber das ist ein anderes Thema.
Morgen gehts also nach Litauen. Nochmal deutlich über 100 km bis nach Alytus. Wird aber schnell gehen, weil es nur direkte Verbindungen über die Fernverkehrsstraße bis zur Grenze gibt. Und dann bin ich sehr gespannt!

12 Juni, 2015

Neuer Kurs: Nordost

Freitag, 12. Juni, Tag 8
Gefahrene Kilometer 123
Höhenmeter bergauf 124
Gesamtkilometer 764

Ab heute geht das Abenteuer in eine neue Runde. Bis Warschau brauchte ich mich um die Streckenplanung nicht kümmern. Ich verwendete die GPS-Tracks und den Radreiseführer "Berlin - Posen - Warschau" von Detlef Kaden. Antje und ich lernten ihn im März 2014 beim traditionellen R1-Radlertreffen  in Wittenberg kennen. Da verfestigte sich für mich die Idee, diese Baltikumtour  zu planen. Auf der VELO in Berlin in diesem Jahr verabredete ich mich mit Detlef Kaden zu einem Treffen, um noch ein paar Tips für die Tour zu erhalten. Wir verabschiedeten uns und Detlef sagte "Lass mal was von dir hören." Ich habe mich aus Warschau bei ihm gemeldet und er hat auch einen freundlichen Kommentar hinterlassen.
Ab heute liegt also ein neuer Kurs an, ich habe die Ost-West-Route verlassen und fahre nun fast den gesamten Rest der Strecke in nördliche Richtungen.
Zuerst ging es heute erst einmal darum, den richtigen Weg aus Warschau heraus zu finden.
Ich wiederhole es nochmal, ohne Navigationssystem mit aktuellen Karten halte ich das persönlich nicht durchführbar. Spätestens bei Straßenüber und -unterführungen im Wirrwarr der Autobahnkreuze, bei denen man auch immer im Blick haben muss, dass man auf der richtigen Straßenseite rauskommt, sonst ist man eben auf der falschen Seite und kriegt die nächste Ausfahrt nicht, würde ich aufgeben. Das hat heute prima funktioniert. Nur einmal habe ich unter den Brücken das GPS-Signal verloren und musste so nach Gehör fahren.
Nach gefahrenen 20 km hatte ich das Gefühl, die polnische Hauptstadt endlich hinter mir gelassen zu haben.  Der Verkehr wurde etwas ruhiger. Ein paar Baustellen nervten, aber die Straßen haben das bitter nötig. Ich konnte auch beobachten, dass schon mehr litauische LKW's unterwegs sind, ich komme der Grenze also näher. Aber ich machte diese Beobachtung nur deshalb, weil ausgerechnet die Fahrzeuge mit dem litauischen Kennzeichen besonders dicht bei mir auf- und dann sehr nah an mir vorbei fuhren. Die poln. LKW's empfand ich da wirklich vorbildlich. Wenn nicht sogar komplett auf der anderen Strassenhälfte fuhren sie aber immer weit genug an mir vorbei.
Die Strecke heute war ein Mix aus weniger befahrenen Landstraße an, die haben immer 3 Ziffern und den stark befahrenen zweistelligen Strassen. Frühstück gönnte ich mir, nachdem ich aus Warschau raus war und Mittagessen (Baguett) gabs heute an der Tanke. Ich hatte auch einen großen Kaffee dazu bestellt und bekam einen halben Liter. Bei Temperaturen von bis zu 35 Grad heute war das auch kein Problem, das zusätzliche Gewicht wieder  loszuwerden. Uberhaupt war ich heute so gut darauf, dass ich nach den 123 km bis zur heutigen Pension schon gerne noch eine Schippe draufgelegt hätte, aber ich hatte ja gebucht. Die 2 Ruhetage in Warschau, da rechne ich mal die Spazierfahrt der Anreise mit dazu, haben mir zusätzlich Kraft gegeben.
Einen Umweg fuhr ich ganz bewusst, um wenigstens ein Stückchen vom Nadburzanski Park Krajobrazowy zu sehen. Ich bin so froh, das getan zu haben. Eine einzigartige Landschaft aus Sümpfen, Wäldern und Dörfern mit bunten Holzhäusern wie in den russischen Märchenfilmen. Manchmal hat nur noch die Hexe vorm Haus gefehlt.
Das Hotel/die Pension heute ist das bisherige Highlight. Ich wurde schon erwartet, ein junger Mann half mir beim Sachen ins Zimmer bringen und die Speisekarte wurde mir gleich mit einer Entschuldigung ausgehändigt, weil heute eine Feier im Restaurant stattfindet. Um 19.00 Uhr wurde mir daher das Essen aufs Zimmer, d.h. auf den Balkon meines Zimmers, serviert.
Frühstück habe ich morgen für 7 Uhr bestellt. Ich muss pünktlich los, die (geplante) Königsetappe liegt an. Das ist der Tag mit den meisten gefahrenen Kilometern. Ich werde wieder bewusst ein paar Alternativstrecken fahren, damit ich mich nicht den ganzen Tag auf den stark befahrenen Landstraßen abquälen muss. Wie schon mal gesagt, die km sind nicht das Problem, es ist eher die begrenzte Zeit, um bis etwas 20 Uhr am Ziel zu sein. Der Blog kommt morgen also später und nicht in der gewohnten Ausführlichkeit. Es wird wieder sehr heiß morgen werden. Mit Wasser für die ersten Stunden hatte ich mich kurz vor der Ankunft versorgt.
Für den morgigen Tag lasst mir mal in Gedanken die notwendige moralische Unterstützung zukommen.

11 Juni, 2015

Ruhetag in Warschau

Die Stadt hatte ich völlig anders in Erinnerung. Es muss 1980 gewesen sein, in meinem ersten Jahr als als Forschungsstudent an der Karl-Marx-Universität Leipzig durfte ich mit einer Studentengruppe zum traditionellen Studentenaustausch nach Polen fahren. Das hieß eine Woche Warschau, 2 Wochen Lodz (jaja der Theo wollte auch mitfahren) und eine Woche Krakau. Da ich kein Student mehr war, für die Studentengruppe aber keine Verantwortung übernehmen musste, konnte ich so ziemlich machen was ich wollte. Ich lief tage- und kilometerlang durch Warschau und erkundete die Stadt. Mein mitgenommener Eindruck von damals: alles grau (bis auf die schönen Parks), Hektik, Probleme bei der Versorgung der Bevölkerung mit dem Nötigsten, politisch unruhig (die Gewerkschaftsbewegung hatte hatte ihren Höhepunkt erreicht), Westdeutsche waren willkommen, wir weniger. Das trug nicht zur Sympathie bei, da will ich mal ehrlich sein.
Bis auf die heute noch schönen Parks stimmt das oben Gesagte heute überhaupt nicht mehr.
Warschau ist eine moderne Stadt, die Warschauer stehen zu ihrer Geschichte und sahen es als nationale Aufgabe, die Stadt aus den nicht mal vorhandenen Ruinen wieder aufzubauen. Und das kann sich sehen lassen.
Und zur eigenen Geschichte stehen hieß auch, den nicht sonderlich geliebten Kulturpalast stehen zu lassen und nicht abzureißen, die Pläne dazu gab es. Der Palast der Republik in Berlin war schnell weg.
Ich nutzte heute also wieder die Gelegenheit , die Stadt zu Fuß zu erkunden, wie damals. Diesmal wollte ich unbedingt auf die 30. Etage des Kulturpalastes und sah mir Warschau von oben an. Ein grandioser Anblick. Ich hatte Glück und wurde Ohrenzeuge einer englischsprachigen Führung für einen VIP-Gast. Dabei ging es um das jüdische Viertel und ich konnte durch die Erklärung von oben die Größe erkennen. Vom Ghetto selbst blieb ja wirklich nichts mehr übrig, selbst die Ruinen wurden gesprengt, um noch die letzten Kellerverstecke ausfindig zu machen oder die Menschen lebendig zu begraben. Heute ist das eine sehr beliebte und teure Wohngegend.
Ich hielt mich lange dort oben auf und genoß die Aussicht. Es gibt noch so viel zu sehen in Warschau, z.B. die vielen Musen, Ausstellungen und die Umgebung. Eine Woche kiegt man locker rum, ohne sich zu langweilen. Da werden wir wohl drüber nachdenken!
Zum Mittagessen schlug mir die nette Bedienung eines Straßenbistros eine Suppe vor, die wollte ich eigentlich nicht. Aber als ich sowas wie  "typisch" heraushörte, schlug ich ein. Nach dem Namen der Suppe gefragt, verschwand die junge Frau, kam dann mit einem Handy zurück und zeigte mir auf dem Display den Namen auf polnisch  "barszcz bialy"  und englisch "white bortsch". Ich holte gleich mein Telefon raus , um die Familie per WhatsApp über meine kulinarische Entdeckung zu informieren. Es gab verschiedene Vorschläge. Antje hat dann bei Herrn Gockel nachgesehen und uns aufgeklärt. Ich bekam Sauermehlsuppe. Klingt schlimm, hat aber geschmeckt. Ansonsten war das heute ein völlig unspektakulärer Tag. Ich war noch in ein paar Kirchen, deren Namen ich schon vergessen habe, aber das kann ich bei Bedarf nachlesen. Auch den Innenhof vom Schloss habe ich mir angesehen, bin ein Stück auf der Stadtmauer Barbakane spaziert und dann am Wislaufer zurück zu meinem Botel gelaufen. Es gab Hinweise, ich solle doch auch ein paar Bilder posten. Ich fotografiere mit Fotoapparat und manchmal mit Handy. Den Block schreibe ich mit dem Tablet. Ich habe dann keine Lust mehr, am Abend noch Bilder auszusuchen und hin und her zu kopieren. Die Bilder zur Tour  können wir uns später noch ansehen. 
Übrigens, wer Fehler im Text findet, kann diese behalten. Ich finde beim Lesen immer wieder mal welche und bessere aus.
Morgen geht es weiter. Über 100 km stehen auf dem Programm. Das Wetter kann mir fast egal sein, ich hatte schon fast alles ausser Schnee. Den gab es übrigens im vorigen Jahr am 17. Juni in Tallinn. Insofern ist noch ne Steigerung drin.

Zimmer mit Meerblick auf dem Botel

10 Juni, 2015

Warschau ist erreicht

Mittwoch, 10. Juni, Tag 6
Gefahrene Kilometer 65
Höhenmeter bergauf 75
Gesamtkilometer 640

Heute ließ ich es gemütlich angehen. Etwas länger geschlafen, Frühstück gabe es nicht und am Rad mussten die ersten Reparaturen erledigt werden. Kein Wunder, dass sich bei den Strassen- und Wegeverhätnissen einige Schrauben und Muttern gelöst und die Schutzbleche sich verzogen hatten. Außerdem musste das hintere  Schutzblech repariert werden. Das hatte sich im letzten Drittel völlig nach innen geklappt. Da hatte ich Glück, dass da während der Fahrt nichts passiert ist.
Um 9 Uhr war ich aber schon fertig und fuhr auch gleich los. Es sollte das bisher schönste Wetter der Tour werden mit viel Sonne und angenehmen Temperaturen zwischen 25 - 33 Grad.
Es wurde die reinste Spazierfahrt und für die nur 63 km hatte ich alle Zeit der Welt, die nahm ich mir auch.
Ich genoss die Landschaft, war auf einem Bauernmarkt und sah einige Zeit ein paar Anglern am Ufer zu.
Auf dem Markt ging es zu, wie ich das von Ungarn oder Kroatien kannte. Es gab wirklich sehr viel zu kaufen: Teppiche, Möbel, Küchengebrasel, Eisenwaren, Bekleidung, Spielzeug und natürlich Obst, Gemüse, Blumen und Pflanzen für den Garten. Am witzigsten fand ich ja die nach Pastellfarben sortierten und geschmackvoll aufgestapelten BH's aller Größen. Bei den süssen Knuppern konnte ich nicht widerstehen und kaufte einen Fahrradhelm voll für einen Euro.
Da es kein Frühstück gab, wollte ich die Gelegenheit auf dem Markt nutzen. An einem Imbiß hing die Speisekarte als Bildergalerie. Ich fand eines besonders gelungen und habe bestellt. Ich wusste nicht, was ich bestellt hatte, es wurde Leber serviert. Nicht Jedermanns  Sache, hat aber geschmeckt.
Dann führte der Weg für etliche KM wieder auf dem Deich der Wisla lang. Der Anblick der schönen Landschaft wird sich für immer auf meiner Festplatte eingebrannt haben. Leider musste ich sehr, sehr konzentriert fahren. Die Spur war manchmal nur 15 cm breit und von einer hoch ansteigenden Graskante gesäumt. Mit dem durch das Gepäck doch etwas instabilen Hinterrad brauchte man bloß diese Kante leicht streifen und kam dann schnell aus dem Gleichgewicht. Zweimal habe ich mich dadurch hingelegt. Das war aber nicht so schlimm, bin ja auf dem weichen frischgemähten Deich gefallen und nicht auf ner Strasse. 
An der Stadtgrenze von Warschau stellte ich das Navi neu ein,  um den Weg zu meinem Botel (ja ein Schiff auf der Wisla) sicher zu finden. Es sollten 13,5 km werden. Für mich der blanke Horror, Stadtfahrten liebe ich überhaupt nicht.
Aber es machte so großen Spaß, so sicher bin ich noch nie durch eine Stadt gefahren wie in Warschau. An einer Stelle gab es sogar Vorfahrtregelungen für Radfahrer. 
Aber eins muss ich wirklich eingestehen, ohne Navi hätte ich den Weg zum Botel nie, nie, nie gefunden (gestern zu Agrotourismus übrigens auch nicht). Das Navi hat mich zuverlässig immer auf die richtige Seite der Stadtbrücken, Straßenüber- und -unterführungen, Eisenbahnbrücken und Kreisverkehre geführt. Und das gilt auch für den gesamten Abschnitt bis hierher. Über 600 km sind nun bereits gefahren. Das ist noch nicht mal die Hälfte der Gesamtstrecke, es war aber doch auch schon wegen der überdurchschnittlichen Steigungen ein anspruchsvolleres Teilstück.
Gleich nach der Ankunft im Botel und dem obligatorischen Duschen wollte ich mir erste Eindrücke von Warschau verschaffen. Ich war ja schon mal im Rahmen des Studentenaustausches vor genau 35 Jahren in Warschau, aber so wie ich die Stadt heute gesehen habe, hatte ich sie nicht in Erinnerung.
Aber dazu morgen mehr.

Ein grauer Tag

Dienstag, 9. Juni, Tag 5
Gefahrene Kilometer 130
Höhenmeter bergauf 281

Das ist der Nachtrag vom Dienstag, 09.06., da war WLAN schon alle
Eigentlich fing es gar nicht so schlecht an. Es war zwar recht frisch und der Himmel sah nicht so schlecht aus. Nach einem guten Frühstück im Hotel sass ich 8 Uhr 45 auf dem Sattel und fuhr Richtung Wislabrücke durch die Fußgängerzone. Wenn hier alle Cafés und Gaststätten bei schönem Wetter geöffnet haben, ist hier bestimmt viel. Heute früh sah das alles aber ziemlich langweilig aus. Aber mitten auf der Fußgängerzone ein deutlich markierter Radweg, der auch gut genutzt wurde. Über die Wislabrücke mit dem Rad rüber war schon ein besonderes Erlebnis. Und dann kamen die ersten kräfteraubenden Anstiege, lange Steigungen mit bis zu 10%. Schon bei etwa 5% komme ich mit 20 kg Gepäck und mit der Nabenschaltung an die Grenze, der Rest geht nur noch über Kraft. Bei 9% war dann Schluss - absteigen und schieben.
Nun fing es auch noch an zu regnen. Regensachen auspacken und umziehen. Wärmer als 12 Grad sollten es erst am späten Nachmittag wieder werden, mehr als 16 Grad für eine kurze Zeit wurden es aber nicht.
Eine Begegnung mit einem Bauern war ganz nett. Als ich eine Kuh fotografieren wollte, die wirklich schon auf der Straße stand und graste, stellte ein in der Nähe arbeitender Bauer seinen Traktor ab und kam zu mir. Der war ganz lustig. Ich sollte doch mit ihm gehen, in seinem Stall stehen noch mehr. An seinem Traktor hing so eine Sprühanlage für Dünger oder Chemie. Gülle war es jedenfalls nicht. Auf seinem Feld hatte er Möhren wie mit einem Lineal ausgerichtet. Einig waren wir uns schnell darüber, dass es viel Arbeit kostet und wenig Geld bringt. Er fragte noch ein paar Mal, ob ich wirklich bis Estland fahre und wünschte mir gute Fahrt. An vielen Erdbeerfeldern bin ich vorbeigefahren und es wurde auch geerntet. Aber wenig Leute. Klar, wenn die Erntehelfer alle nach Deutschland kommen ist keiner mehr hier.
Die Stadt Plock  (gesprochen wie Plotzk) liegt oberhalb der Wisla und hat mir gut gefallen, ich musste allerdings einen steilen Anstieg hoch, ein Stück schieben und dann hörte die Straße auf - Baustelle. Alles war aufgerissen, Bagger, Sand, Rohre, Steine. Ich schob das Rad so gut es ging bis zu nächsten Ecke  und wollte dann weiter sehen. Nächste Baustelle mit Umleitung. Mann war ich sauer.
Der schöne Altmarkt, die Benediktinerabtei und die Mariä-Himmelfahrts-Kathedrale und die schöne Aussicht auf die Wisla entschädigten aber für die Anstrengung. Einen jungen Gärtner bat ich, dass er mal mit seinen Gartenschlauch mein völlig verdrecktes Rad reinigt, was er mit sichtlichem Vergnügen auch tat.
Leider konnte ich die Aussicht von der Wisla-Brücke auf die Stadt nicht geniessen, denn der starke Verkehr und die sich hinter mir aufstauenden Autos nötigten mich zum schnellen Fahren und forderten volle Konzentration auf den Verkehr.
Auf der anderen Seite fuhr ich etwa 5 km direkt auf dem Deich, stellenweise auf einer Spur, die nur 30 cm breit war und auch sandige Abschnitte hatte. Es fuhr sich aber besser als ich dachte. Die Landschaft war herrlich, tote Nebenarme, alte Flussläufe, Tümpel, Wiesen - das volle Programm
Dann folgten auf einer neuen Deichstrasse 30 km flache Rennradstrecke, wo ich auch mal mit den größeren Gängen fahren konnte und viel Zeit gutmachen konnte.
Meine heutige Unterkunft liegt gleich hinter dem Deich und ist ein Bauernhof mit "Agrotourismus". Naja, ist noch ausbaufähig. Aber die Leute bemühen sich überall, finanziell über die Runden zu kommen.
Auf dem Dachboden probten ein paar junge Leute einer Band. Als ich vom Duschen kam hatten sie aufgehört. Schade, wir hätten zusammen was spielen können. 
Veröffentlichen kann ich den Blog erst morgen in Warschau. Bis dahin ist es nur noch ein Katzensprung, aber unterwegs gibt es ne Menge zu sehen.
Frühstück gab es leider nicht. Schlecht geschlafen habe ich auch, auf Bretterboden mit Schaumstoffauflage. Das Projekt Agrotourismus ist wie gesagt ausbaufähig.

08 Juni, 2015

Ankunft an der Wisla

Montag, 8. Juni, Tag 4
Gefahrene Kilometer 78,6
Höhenmeter bergauf 130

Heute war es nur ein sehr kurzer Tagesabschnitt, nur 79 km bis Wloclawek. Jetzt bin in an der Wisla und werde dem Fluss bis nach Warschau folgen. Das Wetter war großartig, ein paar Wolken, Temperaturen um 25 Grad und wenig Wind. Das wäre heute das ideale Wetter für eine Marathonetappe gewesen, aber die folgt erst wieder morgen mit geplanten 130 km.
Unterwegs heute wieder schöne Landschaften, Getreidefelder mit Mohn- und Kornblumen. Heute fiel mir die dunkle Erde bei den Kartoffelreihen auf. Akurat ausgerichtet bis zum Horizont und auch überhaupt kein grüner Spross von Unkraut zu sehen. Später sah ich warum: auf mehreren Feldern fuhren Traktoren und sprühten Flüssigkeit in die Reihen. Das wird wohl kein Wasser gewesen sein. Auch auffällig sind die vielen leeren Plastikflaschen überall am Wegesrand. Ich war am Anfang auch kein Freund vom Dosenpfand, aber die Landschaft bleibt damit sauberer. Es geht also nur übers Geld zu regeln.
In Wloclawek angekommen, machte ich mich gleich auf den Weg, um die Stadt zu erkunden.
Die Stadt ist etwa so groß wie Potsdam. Viel zu bestaunen gibt es nicht. Kirche, Dom und Bischofspalast sind es dann auch schon. In der Stadtmitte der zentrale Platz, von dem aus dem Kreisverkehr einige belebte Straßen abgehen, wo man auch gut essen kann. Viele junge Leute sind zu sehen, und viele Kinderwagen mit Kindern drin.  Sehr beeindruckend ist die Brücke über die Weichsel. Die Weichsel soll hier wohl schon 400 m breit sein. Gleich um die Ecke ist ein riesiges Einkaufszentrum. Sehr schön gestaltet innen. Ich musste da nur durch, um zur anderen Straße zu gelangen. Nicht dass einer vermutet, ich war hier zum Shoppen unterwegs.
Und wieder eine Geschichte zum Schluss:
Als ich in den Dom ging, war grad Gottesdienst. Nun kenne ich mich da ja nicht so aus mit. Bei uns liegen doch auf den Sitzen oder Bänken die Gesangsbücher und dann hängen da noch Tafeln mit Zahlen, welcher Vers oder Psalm gesungen wird. Hier im Dom war ein riesiger LED-Bildschirm, auf dem der aktuell gesungene Text mitlief. Wie in der Karaoke-Bar. Da sage noch einer, die katholische Kirche ist nicht zeitgemäß.

07 Juni, 2015

Gewitter, Regen, keine Sonne, wenig Wind

Sonntag, 7. Juni, Tag 3
Gefahrene Kilometer 118,8
Höhenmeter bergauf 149,7

Der heutige Abschnitt sollte mich von Poznan nach Wymyslowice führen. Geplant waren 134 km. Eigentlich nicht so das Problem. Da ich aber gestern erst so spät in Poznan ankam und mir nicht die Stadt angucken konnte, wollte  ich mir dafür wenigstens heute eine Stunde Zeit nehmen, um ein paar Eindrücke zu erhalten. Dazu musste ich von der Pension erstmal in die Innenstadt. Die Altstadt ist wirklich sehr schön restauriert. Das können "DIE Polen" wirklich gut. Genau deshalb hat man zu DDR-Zeiten auch polnische Restauratoren am Schloß Sanssouci arbeiten lassen und nicht erst nach der Wende damit angefangen, wie viele glauben. Also für mich steht fest, unbedingt nochmal nach Poznan kommen und die Stadt näher ansehen.
Auf dem Alten Markt um 10 Uhr, also eigentlich eine Stunde  später als ursprünglich geplant, ich war dabei meine Sachen für den Tagesabschnitt zu sortieren, öffneten sich alle Schleusen des Himmels. Blitz und Donner zwangen mich zum Abwarten. Als sich das Gewitter entfernte, fuhr ich um  11 Uhr bei Regen los. Da ich mit Regenbekleidung gut ausgestattet bin, war das auch nicht schlimm. Aber irgendwann ist man trotzdem nass bis auf die Haut. Aber das Wichtigste, die Füße blieben trocken. Nichts ist schlimmer, als beim Radeln an den Füßen zu frieren und am nächsten Tag in die noch nassen Schuhe zu steigen. Ich erinnerte mich dabei heute an die fast komplett verregnete Fahrt mit Dirk auf dem Froschradweg, als wir uns in unserer Not ALDI-Tüten  über die Schuhe gezogen hatten.
Bei der Abfahrt dämmerte es mir schon, dass die Zeit einfach zu knapp wird für die geplante Strecke. Also Tempo machen und los. Tempo machen ging aber nicht. Glattes Kopfsteinpflaster, unbefestigte Waldwege, zahlreiche Pfützen, überspülte Straßen und eine grobe Schotterpiste verhinderten ein zügiges Vorankommen.
In Pobiedziska entschied ich mich dazu, mit dem Zug nach Gniezno zu fahren. Das ersparte mir 30-35 km im Regen und ich gewann etwas Zeit, um mir den Ort Gniezno anzuschauen. Für mich ein echtes Highlight mit Dom (die "Mutter aller Kathedralen"), einer netten Fußgängerzone und einem schönen Marktplatz. Auch hier lohnt bestimmt ein Aufenthalt von 2 Tagen.  Nach Gniezko  fuhr ich durch die mir schon bekannte Landschaft mit vielen Seen, zahlreichen Hügeln und hübschen Dörfern zu meiner Unterkunft Wymyslowice, Busewo 1 - übersetzt "mitten in der Pampa". Die GPS -Daten von Booking.com stimmten nicht, da stand ich auf einem Bauernhof mit kleffenden Kötern. Also schnell weg hier. Beim nächsten Gehöft in 500m Entfernung erklärten mir dann Mutter und Tochter im fließenden polnisch den Weg, den ich aber nur aus der Richtungsweisung mit der Hand verstehen konnte. 21  Uhr 30 war ich endlich angekommen.
Die Pension ist sehr nett, ein umgebauter Bauernhof mit schöner alter Einrichtung. Als ich fragte, wo ich meine nassen Sachen und gewaschenen Sachen trocknen kann, nahm mir die Frau hinterm Tresen die Wäsche aus der Hand und ich krieg sie morgen trocken wieder. Super Service.
Trotz der Abkürzung mit der Bahnfahrt wurden es aber heute doch wieder 119 km.
Morgen ist eine Sprintetappe von etwa 80 km bis nach Wloclawek angesagt, bevor dann für Dienstag wieder 130 km geplant sind.

Zwangspause in Poznan

Das Gewitter hört einfach nicht auf und vor mir liegen noch 130 km. Wird ein langer Tag.

06 Juni, 2015

"Hitzeschlacht" auf 148 KM

Samstag, 6. Juni, Tag 2
Gefahrene Kilometer 148,2
Höhenmeter bergauf 568

Damit ist eigentlich für den heutigen Tag fast alles gesagt.
Aber der Reihe nach.
Wie von mir bestellt, gab es um halb 8  Frühstück.  Für mich ganz allein auf dem Tisch serviert, davon hätten 3 Leute richtig satt werden können. Ich habe mir was für unterwegs mitgenommen, was im Nachhinein eine gute Idee war.
Die Temperaturen pegelten sich am Nachmittag zwischen 35 - 40 Grad ein. Nach etwa 100  Tageskilometern hörten dann wenigstens die Hügel auf, es war aber anstrengend genug. Ich habe  8 Liter Wasser getrunken,  wo ist das nur hin? In Anbetracht der  extremen Temperaturen änderte ich unterwegs die Strecke, nahm dafür vielleicht ein paar mehr Kilometer in Kauf, aber Waldwege mit Sandboden wollte ich mir heute nicht auch noch antun. Klar, auf den stark befahrenen Landstraßen ist das nicht der volle Naturgenuss, aber den hatte ich 100 km lang. Es war so toll, ganz allein auf den kleinen Landstraßen unterwegs zu sein, in der Straßenmitte zu fahren und einfach nur die Landschaft zu genießen. Genau so hatte ich mir das vorgestellt und deswegen lohnt sich diese Tour.
Übrigens habe ich heute in einem großen Wald- und Sumpfgebiet erste Bekanntschaft mit den polnischen Insekten gemacht. Ich hatte es nach dem zweiten Fotostop aufgegeben. Ich war sofort voller Fliegen und Bremsen. Also nicht mehr anhalten und den Viechern keine Chance geben. Mücken waren noch nicht dabei, das kommt bestimmt noch in Masuren.
Auf Grund des Wetters und der damit verbundenen Anstrengung war ich auch erst sehr spät (um 21.00 Uhr)  in meinem Zimmer in Poznan. Das Suchen der Pension hat eine Weile gedauert und Stadtfahrten liebe ich nicht besonders. Aber Poznan ist wirklich sowas von radfahrerfreundlich, fast überall Radwege, sichere Ampelregelungen nur für Radler, eindeutige Markierungen auf der Fahrbahn. Da kann Potsdam noch ne Menge lernen. Aber dort erfindet man im wahrsten Sinne des Wortes das Rad lieber nochmal neu.
Noch eine besondere Geschichte zum Schluss:
In einem kleinen Dorfladen habe ich meinen Getränkevorrat aufgefüllt. Die Frau redete die ganze Zeit auf mich ein, obwohl sie wusste,  dass ich kein Wort verstehe. Ich wollte von Ihr nur wissen, was das für Stimmen waren, die da aus den Lautsprechern plärrten, ich dachte im ersten Augenblick, hier muss eine Moschee sein. Aber sowas im katholischen Polen? Nicht vorstellbar. Beim Weiterfahren sah ich dann die Quelle. Es war eine schöne Kirche und der Gottesdienst wurde nach draußen übertagen. Viele Leute standen auch vor der Kirche, besonders Familien mit Kinderwagen oder Rollstuhlfahrer. Das habe ich heute mehrmals so erlebt.

Tag 1 - anders als erwartet

Freitag, 5. Juni, Tag 1
Gefahrene Kilometer 99,5
Höhenmeter bergauf 580

Mit 45 Minuten Verspätung schob ich das Rad über die Stadtbrücke in Frankfurt/O. Wir haben nicht gleich einen Parkplatz gefunden, weil das Navi die aktuelle Straßenlage nicht kannte und schwups - waren wir schon in Polen. So hatte ich mir das auch nicht gedacht, ein bisschen Symbolik sollte schon sein. Außerdem musste ich noch ein paar EUR abheben, das hatte ich gestern glatt vergessen. So ging es nochmal zurück nach Frankfurt.
Nach der Verabschiedung von Antje fuhr ich dann los. War schon ein mulmiges Gefühl, mal von der Armeezeit zu DDR-Zeiten abgesehen, ist das jetzt eine der längsten Trennungen voneinander.
Aus Slubice war ich mit Hilfe des Navis schnell raus und auf der Landstraße Richtung Osno Lubuskie unterwgs. Übrigens die polnischen Städtenamen muss ich leider ohne den ganzen Schnick-Schnack  (Akzents, Striche,  Kreuze und was weiss ich) schreiben, das gibt die Tastatur nicht her. Bis Osno L. war es also noch recht gemütlich.
Aber dann folgte eine 90-Grad-Kurve und von nun an führte der Weg straff nach Osten, straff kam mir auch der Wind genau aus dieser Richtung entgegen. Von hier an war es mit dem gemütlichen Beginn vorbei. Die Hitze störte mich weniger aber das ständige auf und ab und lange Steigungen von 2% und mehr gehen bei Wind auch in die Beine. In Lubniewice war erstmal Pause angesagt. Ein netter kleiner Platz mit Brunnen und 2 Gaststätten. Umgerechnet 4 EUR für einen grossen griechischen Salat und 1 Liter Tonic mit Zitrone waren dafür auf keinen Fall zu viel. Bis Miedzyrzecz, dem  heutigen Tagesziel (wer denkt sich bloß diese Namen aus) war es wegen des Windes eine ziemliche Quälerei. Auf den Landstraßen fuhr es sich eigentlich gut, Radwege waren eher die Ausnahme.
ABER es gabe auch Abschnitte mit sehr schlechten Straßen, und ich hatte auch immer das Gefühl, dass ich auf der Straßenseite mit dem schlechteren Belag fuhr, auf meiner Seite die Löcher größer waren oder ausgerechnet auf meiner Seite der Straßenbelag der reinste Flickenteppich war, während links von mir eine völlig glatte Piste existierte.  Ich kann wirklich nicht sagen, dass ich bei der Ankunft in M. platt war, aber ich war auch ganz froh,  es für heute geschafft zu haben
Die Gegend ist sehr schön, viel Wald, viele Seen, oft auch weite Rundumsichten ins Land, die aber durch den Gegenwind und die Anstiege auch hart erarbeitet wurden. Mir fiel auf, dass die Felder riesig groß sind, dass gibt es ja bei uns kaum noch. Hier in M. gibt es nichts zu sehen. Ich wohne in einem Sporthotel, direkt oberhalb der Zuschauerränge einer großen Mehrzweckhalle. Ein Schwimmbad gehört auch dazu. Essen konnte ich hier auch und das obligatorische Feierabendbier trinken. Fernseher ist zwar im Zimmer, aber nur polnische Sender. Klar, ich bin ja auch in Polen. So, mehr ist dann heute auch nicht passiert. Auf morgen freue ich mich sehr, da gehts nach Poznan und auf dem Weg liegen ein paar nette Städtchen.

02 Juni, 2015

Verpflegung für den ersten Tag

Gestern erhielt ich von unseren Nachbarn K. einen Verpflegungsbeutel in den polnischen Landesfarben und mit in Polen produzierten Produkten für den ersten Tag. 
Inhalt: Wasser, Bier, Snickers, Kleingeld. Da komme ich schon mal 2 Stunden über die Runden!
Manfred K. informierte die MAZ über meine Tour. Morgen kommt deshalb ein Lokalredakteur zu mir und will mit mir darüber sprechen.

01 Juni, 2015

Taschen sind gepackt

Nach dem vergangenen schönen Wochenende in der Sächsischen Schweiz habe ich heute Vormittag meine Liste der mitzunehmenden Sachen abgearbeitet und die Packtaschen mal  "zur Probe" gepackt. So richtig zufrieden bin ich noch nicht.
Die beiden seitlichen Taschen sind nicht das Problem, aber was ich oben auf den Gepäckträger lege, ist noch nicht 100%-ig klar (Tasche, Packsach, Rucksack ....)
Meine größte Sorge: Was Wichtiges vergessen.
Das Wetter zum Start am Freitag in Frankfurt wird immer besser !!! Der Wind ist natürlich nicht mein Freund und soll genau aus Richtung Osten kommen, super.

28 Mai, 2015

Modisch auf Tour ?!


Ein bißchen eitel bin ich schon.
So sieht meine Tourkollektion aus, es fehlt sogar noch ein Shirt. Besonderes Highlight:
Am Pfingstmontag waren wir in Storkow im Museum von Didi Senft, alias El Diablo, der Tourteufel bei der Tour de France, beim Giro und der Tour de Suisse. Didi hat mir meine Regenjacke signiert. Von Didi für Didi sozusagen. Antje hatte die Idee.

Auf dem Link könnt Ihr Didi in Aktion sehen. Ein verrückter Kerl!

27 Mai, 2015

Der Countdown läuft

Noch 9 Tage bis zum Tourstart am 5. Juni.
Um 9 Uhr will ich in Frankfurt/O. mein Fahrrad über die erste Landesgrenze nach Polen schieben. Dann geht es los, mehr als 2.200 KM werden vor mir liegen bis ich am 27. Juni in Tallinn ankomme.
Die Route ist geplant, die Quartiere sind gebucht, das Fahrrad so gut wie startklar und die Packtaschen werden von Tag zu Tag voller.
Im Moment bereitet mir die Fahrradmitnahme mit dem Bus von Tallinn nach Riga noch etwas Probleme. Wird schon.
Auf den Wetterapps werfe ich ab und zu einen Blick auf das zu erwartende Wetter. Sieht nicht schlecht aus. Auch im Baltikum wird es schon wärmer. Aber bis dahin dauert es noch ......